drei Personen lesen einer Zeitung

Vorstandsbericht »Aktuelles aus der Jugendpolitik«

Rede von Alexander Strobel auf der VV2/2023, 11.11.2023

Zur Tradition geworden, beginnt die Vollversammlung mit einer jugendpolitischen Rede. Wie immer keine ganz einfache Aufgabe. Über was redet man, was spricht man an – was lässt man aber auch weg, um Euch nicht zu langweilen? Und: Was spricht man an, wenn wesentliche Empfänger*innen der Landespolitik heute leider nicht anwesend sind? Ich will heute mal mit zwei Bilder, die mich in den letzten Wochen erreicht haben, beginnen. Lasst sie mal auf Euch wirken. [Es werden zwei Memes eingeblendet, die sich über Politik lustig machen]

Die Bilder sollen witzig sein. Aber sind sie das wirklich? Ich ertappe mich, wie ich innerlich schon grinse. Aber draufhauen, lächerlich machen und kritisieren ist auch einfacher als es selbst besser zu machen und echte Lösungen anzubieten. Und beginnt Demokratie nicht gerade dann zu bröckeln, wenn Personen oder Verantwortliche in Politik, aber auch darüber hinaus, lächerlich gemacht werden?

Weshalb habe ich diesen Einstieg für heute gewählt? Wir merken, dass die Welt aus den Fugen gerät. Vieles, was bisher als Selbstverständlich galt, wird und ist in Frage gestellt. Ich möchte gar nicht beginnen, die Krisen und Herausforderungen unserer Zeit einzeln aufzuzählen. Ich würde wohl immer was vergessen – aber alle Krisen und Kriege haben eines gemeinsam – sie erzeugen Ängste und Verliererinnen und Verlierer. Manche müssen das sogar letztendlich mit ihrem Leben bezahlen. Für welche Werte stehen wir als Jugendverbände ein? Wo fördern wir das Verständnis von Demokratie?

Deshalb möchte ich mich erstmal bei Euch persönlich und euren Verbänden insgesamt bedanken. DANKE für Eurer ehrenamtliches Engagement als oder für junge Menschen in Baden-Württemberg. Und das ohne Bezahlung – ganz freiwillig – einfach ehrenamtlich. Aber auch ehrenamtliches und freiwilliges Engagement kostet Geld. Nicht nur entstandene Auslagen sind zu ersetzen. An der ein oder anderen Stelle sind auch kleine Entschädigungen nicht nur hilfreich, sondern schlicht geboten.

Dass die Bundesregierung Fördermittel für den Freiwilligendienst kürzen will, dass gleichzeitig Personen und Parteien über die Einführung eines Pflichtjahres diskutieren, bekomme ICH nicht zusammen. Hier darf es keine „einfache“ Lösung zur Abmilderung des Fachkräftemangels mit Hilfe junger Menschen geben. Es sind zuerst attraktive Rahmenbedingungen zu schaffen – sowohl im Freiwilligendienst, als auch in den Berufen. Liebe Politik, lieber Dennis: fördert die Freiwilligenstrukturen besser! Dann können und werden sich auch mehr Personen dafür engagieren – im Übrigen beim BFD nicht nur junge Menschen.

Institutionelle Förderung

Die Jugendarbeit vor Ort hat durch die Landesregierung in den letzten Jahren spürbar mehr Geld durch den Landesjugendplan, und hier insbesondere durch die höhere Förderungen von Jugenderholungsmaßnamen und Jugendbildungsmaßnahmen erhalten. Das können und wollen wir nicht verschweigend, sondern sehr dankend erwähnen. Frau Deiß – tragen Sie den Dank bitte an Minister Lucha weiter.

Aber wir müssen leider auch sagen, dass die Strukturen auf Landesebene derart geschwächt sind, dass deren Fortbestand zum Teil erheblich in Frage gestellt werden. Seit 16 Jahren gab es keine Erhöhung der strukturellen Förderung mehr, dafür immer höhere Auflagen und immer mehr Wünsche und Aufgaben. Rein durch die Inflation haben wir so bereits 40 Prozent an Zuschuss-Wert gegenüber 2008 verloren.

Wir wollen aber nicht nur mehr Geld, weil es schon lange keine Erhöhung mehr gegeben hat, sondern weil wir wertvolle Arbeit für die Gesellschaft erbringen. Beispiel den Anspruch auf eine Ganztagsbetreuung ab 2026 – in den Ferien leisten wir das schon sehr lange und schon lange extrem verlässlich. Wer die verbandliche Kinder- und Jugendarbeit als Teil der demokratischen Gesellschaft und als außerschulischer Lernort versteht, muss spätestens im Haushalt 2025/2026 hier einen deutlichen Schwerpunkt legen.

Dem Landesjugendring gelingt die „schwarze“ Null aktuell nur, weil wir Projekte im Masterplan Jugend beantragt und – auch hierfür mein Dank an das Ministerium – erhalten haben. Jedoch stehen kaum mehr Arbeitsfreiräume für die Beratung und Begleitung von euch, den Mitgliedsorganisationen, zur Verfügung. Und auch aufgrund von Bürokratie steigt gleichzeitig der Beratungsbedarf. Täglich erreichen uns Anfragen zu Hygieneschulungen, Pauschalreiserecht, Erweitertes Führungszeugnis, juleica, – die Liste könnte man noch ein paar Minuten weiterführen.

Wir stehen ein für ein friedvolles Miteinander

In der aktuellen Zeit können und müssen wir uns auch zu den kriegerischen Auseinandersetzungen, sei es in Israel, Palästina, der Ukraine und leider an vielen weiteren Orten der Welt, zu Wort melden. Wo Krieg herrscht, wird Menschlichkeit vergessen. Die Gräueltaten der Hamas sind aufs Schärfste zu verurteilen und klar zu benennen. Der Angriffskrieg von Russland auf die Ukraine ist aufs Schärfste zu verurteilen. Aber es gilt auch, auf allen Seiten unbeteiligtes Leid wahrzunehmen. Insbesondere wieder häufig für junge Menschen, die in den Krieg gezwungen werden, die als Kanonenfutter an die Front müssen. Sie sind mindestens ein Leben lang traumatisiert, wenn sie nicht gar durch die Auseinandersetzung von Staaten und Ideologien nur noch im Sarg zu Angehörigen zurückkehren.

Für uns als Landesjugendring und allen Mitgliedsverbände ist klar und muss klar sein: Wir achten jedes Leben – gleich welcher ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität ein Mensch ausmacht.

Aus dem Landesjugendring

Die Russisch-Orthodox-Jugend Baden-Württemberg hat einen Mitgliedsantrag an den Landesjugendring gestellt. Für eine Neuaufnahme haben wir klare Regeln: Eine AG wird sich mit dem Aufnahmewunsch intensiv beschäftigen. Hierzu darf ich auch an dieser Stelle eine Einladung auf Donnerstag, 18. Januar 2024, 17 Uhr, in digitaler Form zu einem ersten Austausch aussprechen. Der Aufnahmeantrag wird dann voraussichtlich in der Vollversammlung am 13. April 2024 behandelt.

Die U18-Wahl in Bayern lässt aufhorchen. Mit fast 15 Prozent ist hier die AfD hinter der CSU die zweitstärkste Partei. Erste Personen unken nun, hätte man die Jugend nur nicht wählen lassen. Für mich keine Lösung. Jugendliche in ihren Lebenssituationen erstnehmen schon eher. Und Baden-Württemberg ist da ja auch bundeweit Vorreiter: zur nächsten Kommunalwahl können nicht nur 16-jährige wählen, sondern dürfen auch schon gewählt werden. Kommunal wird Demokratie direkt gelebt und erlebt.

Hier liegt auch eine Verantwortung bei uns: Wir müssen Kinder und Jugendlichen Demokratie in unseren Gruppen, Kreise, auf Freizeiten und bei Angeboten vorleben und auch Jugendliche immer wieder neu in den Blick nehmen, die uns und wir nicht auf dem Schirm haben. Es kann uns nur gemeinsam gelingen, einen Rechtsruck in der Gesellschaft zu verhindern, wenn wir zusammen für Werte und eine offene Gesellschaft eintreten. Das heißt im Umkehrschluss aber nicht, dass wir Probleme nicht benennen dürfen. Menschlichkeit muss uns etwas Wert sein – neben dem, dass marode Schulen wieder zu Orte werden müssen, wo sich junge Menschen gerne aufhalten wollen. Und wer arbeitet muss am Ende immer mehr davon haben, wie jemand, der aus eigener Kraft keiner Arbeit nachgehen kann. Deshalb muss es zunächst auch mal allen ermöglicht werden, arbeiten gehen zu dürfen. Der Sozialstaat muss denen helfen, die nicht können, aber nicht denen, die nicht wollen.

Beim Empfang der Jugendverbände Ende September habe ich Bezug zum Veranstaltungsort, dem Haus der Geschichte, genommen. Welche Spuren wollen wir hinterlassen oder welche Spuren werden wir im Rückblick hinterlassen? Der Landesjugendring setzt sich für eine nachhaltige Entwicklung ein. Dem Landesjugendring selbst wurde in der Vollversammlung ja auch der Auftrag mitgegeben, seinen eigenen Fußabdruck zu ermitteln – und ich ergänze – wo möglich, auch zu verkleinern.

Den Klimawandel und die Klimaveränderung kann niemand mehr ernsthaft bestreiten. Selbst bei uns sind Wetterextreme keine Seltenheit mehr. Die Bilder der letzten Wochen werden uns hier lehren, dass Klimaschutz auch Teil einer Strategie sein muss, Fluchtursachen zu vermindern. Denn wer möchte schon in einem Land oder einer Region wohnen, wo durch Sonne, Regen, Wind, Feuer man nicht mehr sicher leben kann?

Man kann sagen, dass die Politik in Baden-Württemberg begonnen hat, auf Jugendliche zu hören bzw. direkte Beteiligung zu ermöglichen. Über die Gemeindeordnung ist die Mitwirkung von Kindern als SOLL und bei Jugendlichen mit MUSS bei Planungen und Vorhaben recht eindeutig geregelt. Dies kann man im Detail in § 41a der Gemeindeordnung nachlesen. Allerdings tun sich da die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister unterschiedlich schwer damit, dies auch in der täglichen Praxis zu berücksichtigen. Das Wahlrecht ab 16 Jahren und 2024 erstmals nun auch die Möglichkeit, ab 16 Jahren in den Gemeinderat gewählt zu werden, ist dabei ein echter Fortschritt. So sitzt man nicht nur am Tisch nebenan, sondern am Ratstisch selbst.

Auch das Jugendticket und ab 1. Dezember 2023 das vergünstigte Deutschland-Ticket sind eine große Errungenschaft. Für 1 Euro am Tag in Baden-Württemberg oder dann in ganz Deutschland Bus- und Bahn fahren zu können ist toll. Aber wer zum Beispiel in Stuttgart oder auf dem Land wohnt, weiß auch, dass das günstige Ticket nichts nützt, wenn Bus oder Bahn nicht fahren oder die so unpünktlich sind, dass man Anschlusszüge nicht mehr erreicht.

Aus unseren Projekten

In Projekten des Landesjugendrings geht es vielfach um die Beteiligungsformen und -möglichkeiten mit, von und für Jugendliche. Mit der Servicestelle Kinder- und Jugendbeteiligung – gemeinsam getragen vom Landesjugendring, der Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung und der LAG Jugendsozialarbeit – setzen wir Maßstäbe in der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen. Die Servicestelle ist mit das größte Projekt im Landesjugendring und bildet Multiplikatorinnen und Multiplikatoren aus, um echte Beteiligung vor Ort zu ermöglichen. Kinder und Jugendliche wollen beteiligt werden. Sie brauchen aber auch das Gefühl, mit ihren Anliegen gehört zu werden.

Und dann war im Oktober der zweijährliche Jugendlandtag. In diesem Jahr fand er bereits zum 8. Mal im Landtag statt. Mit rund 190 Teilnehmenden brachte er den Landtag an die Grenze seiner Besuchskapazitäten. Am Puls der Demokratie erleben Jugendliche die Arbeit der Abgeordneten, diskutieren selbst eifrig über ihre Themen und formulieren Forderungen an die Politik. Wie bei allen Programmen – liebe Mitgliedsverbände. Macht mit, nutzt die Möglichkeiten Euch und Eure Jugendliche einzubringen.

Der Landesjugendring hat im Rahmen des Masterplans Jugend Projekte beantragt und bewilligt bekommen, die drängende Themen unserer Zeit aufzugreifen: „Entwicklung zukunftsfähig zu machen heißt, dass die gegenwärtige Generation ihre Bedürfnisse befriedigt, ohne die Fähigkeit der zukünftigen Generation zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zufrieden stellen zu können“. Dazu hat der Landesjugendring in Kooperation mit den Landjugendverbänden die N-Challenges ins Leben gerufen, "weil nicht alles auf Bäumen wächst“ . Ziel der Challenges ist es, dass junge Menschen einen eigenen nachhaltigen Lebensstil entwickeln, ausprobieren und sich aktiv an der Gestaltung einer nachhaltigen Kinder- und Jugendarbeit beteiligen. Insgesamt sechs Challenges zu verschiedenen Themen wie Ernährung, Mobilität oder Konsum werden bis Ende 2024 laufen.

Die Arbeit der Jugendringe und Jugendverbände steht im Wesentlichen auf ehrenamtlichen Füßen. Aus vielen Rückmeldungen wissen wir, dass das Ehrenamt insbesondere nach den Pandemiejahren unter Druck ist und dies nahezu alle unsere Mitgliedsverbände betrifft. Leider kann man sogar von einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung sprechen. Das Projekt „The Länd of young Ehrenamt“ geht diese Herausforderung mit 4 Regionalstellen in den vier Regierungsbezirken an:

  • Ehrenamt im ländlichen Raum (Regionalstelle Südwürttemberg)
  • Ehrenamtliches Engagement junger Menschen vielfältiger Prägungen (Regionalstelle Südbaden)
  • Engagement im Sport (Regionalstelle Nordwürttemberg)
  • Neue Engagementformen (Regionalstelle Nordbaden)

Vielen von uns geht gerade die Luft aus – wohlgemerkt, sie wird nicht nur dünner. Um Kinder und Jugendliche vertreten zu können, um Strukturen für Projekte vorhalten zu können, ist eine verlässliche Grundförderung notwendig. Sowohl für den Landesjugendring selbst als auch für die Jugendverbände und -ringe. Und wie hieß es erst diese Woche bei einer Konferenz: „Um als Dachverband Projektideen umsetzen zu können, brauchen wir eine solide Basis. Sonst gibt es vor Ort einfach niemanden, der sich um die guten Projekte kümmert.“

Bei all dem, was uns in diesen Tagen und Wochen beschäftigt, wünsche ich uns immer noch, den positiven Blick zu behalten. Lasst uns Dinge angehen, die wir verändern können und nicht an Dingen verzweifeln, die wir nicht ändern können.

Vielen Dank an alle, die zum Gelingen des heutigen Tages beitragen oder beigetragen haben!

Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Geschäftsstelle. Dank für Eure Kommen aus Verbänden und Ringen und nicht zuletzt an die Gäste aus Politik und Verwaltung für Ihr Kommen.

Dieser Vollversammlung wünsche ich nun heute einen guten Verlauf, spannende Diskussionen und allen gute Begegnungen.

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