Vorstandsbericht »Aktuelles aus der Jugendpolitik«

Rede von Alexander Strobel auf der VV 1/2022, 07.05.2022

Liebe Delegationen, liebe Gäste, lieber Abgeordnete Birnstock,

Was für verrückte Zeiten zu denen wir uns heute hier versammeln. Über zwei Jahre lang hat uns Corona in der verbandlichen Kinder- und Jugendarbeit in Atem gehalten und scheint seit 3. April 2022 vorerst vorbei zu sein.

Teilnahme für junge Geflüchtete an Maßnahmen der Kinder- und Jugendarbeit ermöglichen

Seit 24. Februar 2022 stockt uns aber selbiger. Russland greift die Ukraine an, was bis heute eine Unmenge an menschlichem Leid erzeugt. Mich macht in diesem Zusammenhang das Wording in den Nachrichten echt wütend. Dort ist immer wieder von Zivilisten zu hören, die geschützt werden müssten. Verdammt – vor nicht mal 3 Monaten waren die Soldaten zumeist noch Zivilisten und hatten Frauen/Männer und Kinder. Und jeder einzelne Tote in diesem Krieg ist einer zu viel. Und alles, weil ein Irrer die Idee hat, ein Großreich Russland wieder aufbauen zu müssen.

Der Krieg vertreibt Menschen, nicht nur in der Ukraine. Aus 2015 sind die Bilder von Flüchtenden aus Syrien sicherlich noch vielen in Erinnerung. So war und ist nicht überraschend, dass wieder viele Flüchtende in Deutschland eintreffen. Mehr denn je kommen heute Frauen und v.a. Kinder zu uns. Deshalb appellieren wir an das Sozialministerium, unbürokratisch dafür zu sorgen, dass die Teilnahme dieser jungen Menschen an Maßnahmen der Kinder- und Jugendarbeit ermöglicht wird. V.a. über die Förderung für finanziell schwächer Gestellte ist dies mit einer Klarstellung in einem Satz getan: Auch wenn geflüchtete junge Menschen aus der Ukraine nicht mit Wohnsitz in Baden-Württemberg gemeldet sind, wird ihre Teilnahme entsprechend der VwV zur Förderung der Kinder- und Jugendarbeit gefördert.

Nehmen wir die Herausforderungen an und bieten für die Geflüchteten Kinder- und Jugendarbeit an. Und ja, die Sprache ist sicherlich eine erste Hürde. Aber es wird sich lohnen, diese und auch weitere Hürden zu überwinden. Ein Ende des Krieges, und damit die mögliche Rückkehr, scheint in weiter Ferne.

Und trotzdem hoffen wir natürlich, dass der Krieg möglichst bald endet. Dann können Kontakte, die jetzt in unserer Kinder- und Jugendarbeit entstehen, intensiviert werden. Inklusiv für diejenigen, die hier bleiben werden oder bei Jugendbegegnungen mit Heimkehrer*innen. Wir wissen: Jugendaustausch hilft, ein gegenseitiges Verständnis füreinander aufzubauen und damit Frieden zu sichern.

Nachwirkungen der Corona-Pandemie: Krisenfeste Gesellschaft?

Am 7. April hat sich die Enquetekommission „Krisenfeste Gesellschaft“ konstituiert. Wir hatten gehofft, dass dabei auch die Zivilgesellschaft und die so maßgeblich durch die Pandemie betroffene Personenkreis der Kinder und Jugendlichen vertreten wird. Wir meinen, dass hier noch deutlich Luft nach oben ist. Und wie wichtig Jugendverbände und ihre Angebote für Kinder und Jugendliche sind, war in den letzten 2 Jahren ebenfalls deutlich zu spüren. Auch, als manche Angebote gar nicht stattfinden durften.

Seit 3. April nun gibt es keine notverordneten Verbote und Gebote mehr. Und doch merken wir, dass wir manchmal noch nach einer Orientierung suchen und wie der Herbst wird, weiß aktuell noch niemand.

Im Sommer wird es wieder zahlreiche Freizeiten im In- und Ausland geben. Viele Kinder und Jugendliche haben Hunger danach, sich abseits der Schule und des Leistungsdrucks zu treffen, sich selbst zu erleben und auszutoben. Und für viele dürften es auch die ersten Tage ohne Eltern sein. In der Freizeitarbeit hatten die Einschränkungen sicherlich auch ihr Gutes. Viele neue Ideen wurden geboren und werden nun sicherlich ins Freizeitprogramm dauerhaft aufgenommen.

Was ist aber noch bei vielen Veranstaltern ein Problem? Genügend ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer für die Angebote zu finden. Leider nicht verwunderlich, konnte man bisher auch immer neue Mitarbeitende aus dem Kreis der Teilnehmenden generieren. Dieses eingespielte System hat Corona nun zwei Jahre ausgehebelt und es bedarf viel Energie und einiger Anstrengung, wieder neue Mitarbeitende zu gewinnen.

Gleichermaßen trifft das auch all jene Mitgliedsorganisationen, die vor der Pandemie über ihre vielfältigen Aktivitäten Mitglieder gewinnen konnten. Auch das war jäh unterbrochen.

Wir fordern die Politik auf, den Jugendverbänden bei den Anstrengungen zu unterstützen. Zum einen durch die Erhöhung der Institutionellen Förderungen, zum anderen auch durch ein gezieltes Programm zur Gewinnung von Ehrenamtlichen. Hier kann „The Länd“ mal zeigen, was in ihm steckt.

SGB VIII-Reform: Anspruch auf Inklusion

Zumindest von der Öffentlichkeit nicht sehr wahrgenommen, wurde die durch den Bund verantwortete Änderungen des SGB VIII. Allerdings hat diese durchaus deutliche Auswirkungen auf unsere Angebote, gilt doch, dass auch Personen mit Handicap einen Anspruch auf Teilnahme haben. „Alle sind Teil der Gesellschaft“ – so lässt sich dieser Anspruch vermutlich herunterbrechen. Für die Gesellschaft und die Betroffenen absolut der richtige Weg, für die Jugendverbandsarbeit eine erneute Herausforderung, die mit Sicherheit auch noch Zeit zur konkreten Umsetzung benötigen wird.

Sind bei uns alle Orte barrierefrei und schreiben wir dies z.B. bei den Angeboten von Gruppen oder den Ausschreibungen von Freizeiten auch so aus?

Endlich: Wahlalter 16

Ein Erfolg konnte der Landesjugendring mit dem Bündnis „Wahlaltersenkung“ feiern: Am 6. April 2022 hat der Landtag beschlossen, dass ab den nächsten Landtagswahlen 2026 alle Personen ab 16 Jahren wahlberechtigt sind. Die von uns lange geforderte Wahlaltersenkung wurde damit nun umgesetzt. Und bei allen Differenzen in den Landtagsdebatten, in die wir über zwei Anhörungen zum Gesetzt auch aktiv im Landtag eingebunden waren, ging es den demokratischen Parteien dabei nie darum, die Absenkung des Wahlalters zu verhindern, sondern immer nur um die Einführung des Zwei-Stimmen-Systems. Denn hier wird eine Aufblähung des Landtags befürchtet, die durch Überhang- und Ausgleichsmandate entstehen kann. Diese Einschätzung teilen wir durchaus. Sind wir gespannt, ob gegen das Landtagswahlgesetz geklagt wird. Die Absenkung des Wahlalters spielt dabei keine Rolle – hierfür wurde die Landesverfassung geändert und eine erfolgreiche Klage dagegen ist nicht zu befürchten.

Wir danken an der Stelle auch insbesondere den Jusos, die mit dem Landesjugendring begonnen hatten, verbündete für ein Bündnis zu suchen und mit der Grünen Jugend und den Julies schnell auch Partner gefunden haben, die an einem Strang zogen. Leider gelang es nicht, die Junge Union ebenfalls zum Bündnispartner zu gewinnen. Die Möglichkeit 2026 für 16-jährige zu wählen heißt für uns in der Jugendverbandsarbeit nun auch, sich in den Gruppen mit dem Thema Wahlen und Demokratie noch mehr zu befassen.

Ganztag und Jugend(verbands)arbeit

Nach der Freude nochmals eine Herausforderung, die wir für so wichtig erachten, dass sie heute einen Schwerpunkt in der Vollversammlung bildet. Die gesetzlich verankerte Ganztagsbetreuung ab 2026. Ich freue mich, dass wir heute Benjamin Lachat vom Städtetag Baden-Württemberg gewinnen konnten. Die Umsetzung obliegt den Kommunen, weshalb ich sehr auf seinen Vortrag gespannt bin. Bei dem Thema schwingen viele Ängste aber auch Chancen mit, denn was macht das eigentlich aus unseren ehrenamtlichen Strukturen?

Der Ganztag hat nicht nur großen Einfluss auf das Aufwachsen junger Menschen. Ganztag heißt auch, ein Spannungsfeld zwischen der Förderung von Chancengerechtigkeit und der Institutionalisierung des Aufwachsens aufzumachen. Mehr noch: Er beeinflusst auch das Selbstverständnis und die Arbeit aller Verbände außerschulischer Bildung und zwar unabhängig davon, ob und inwieweit man sich am Ganztag bzw. an Schulkooperationen beteiligt.

Die bisherige Verankerung des gesetzlichen Anspruchs auf Ganztag wird stark von Betreuungsbedarfen und damit aus Sicht der Erwachsenenbedürfnisse geleitet. Es kann und darf nicht der Anspruch an den Ganztag sein, junge Menschen zu „verwahren“ oder nur zu betreuen. Ganztag für Grundschüler*innen muss als kindergerechter Bildungsort gedacht und umgesetzt werden. Es muss ein Ort werden, der Kindern viele Zugänge eröffnet, um ihre Freizeit zu gestalten, Interessen und Persönlichkeit zu entwickeln, sich zu bewegen, zu erholen und mit Freund*innen auszutauschen.

Um dieser gemeinsamen Verantwortung für die Gestaltung des Ganztags gerecht werden zu können, braucht es eine dauerhafte und ausreichende finanzielle Absicherung unserer Strukturen. Nur dadurch wird es gelingen, verlässlich qualitativ gute Angebote zu schaffen und aufrechtzuerhalten. Ganztag ist kein Projekt, sondern eine strukturelle Grundversorgung.

Wenn ich mir das Angebot des Stadtjugendrings Heidelberg anschaue, dann sehe ich große Chancen auf die Ausgestaltung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung unter Beteiligung oder gar Koordination der verbandlichen Kinder- und Jugendarbeit. Der Stadtjugendring bringt Freizeitgestaltung mit informeller und nonformaler außerschulischer Bildung heute bestens zusammen und wird das sicher auch in Zukunft tun. Schon jetzt bedanke ich mich beim heutigen Gastgeber, dem Stadtjugendring Heidelberg und wünsche der Versammlung einen guten Verlauf und Euch und uns allen gute Begegnungen.

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